Titelseitenkommentar Hamburger Abendblatt 12./13.7.2014
Das Offenbarsiche – WM-Sprach- und Stilkritik zum 9.7.2014
Gerhard Delling bringt es in einer Reportage aus Campo Bahia, wo wir den glücklichen Spielern der deutschen Nationalmannschaft dabei zuschauen können, wie sie ihre Freundinnen am Strand küssen, allen voran Mats Hummels (ganz Abgebrühte mögen die hochintelligenten Kolumnen Frau Fischers unterhaltsam finden: http://www.bild.de/sport/fussball/wm-2014/wir-werden-die-party-unseres-lebens-feiern-36716222.bild.html) auf den Punkt: „Das war offenbarsich entspannend.“ Ist das nicht eine exzeptionelle Verknüpfung aus offenbar und offensichtlich? Zudem es „zwischen offenbar und offensichtlich … keinen Bedeutungsunterschied (gibt). Es ist allerdings nicht richtig, diese Adjektive im Sinne von „vermutlich“ oder „möglicherweise“ zu gebrauchen. Denn was offenbar, offensichtlich oder auch offenkundig ist, das liegt auf der Hand, ist augenscheinlich, erwiesen, erkennbar, nachweislich.“ (http://www.spiegel.de/kultur/zwiebelfisch/zwiebelfisch-abc-offenbar-offensichtlich-a-314565.html)
Gern werden in Berichterstattung und Moderation rund um die WM auch „anscheinend“ und „scheinbar“ verwechselt. Dabei wird „mit anscheinend die Vermutung zum Ausdruck gebracht, dass etwas so ist, wie es erscheint. Hingegen besagt scheinbar, dass etwas nur so scheint, aber nicht wirklich so ist.“( http://www.korrekturen.de/beliebte_fehler/scheinbar_anscheinend.shtml)
Wird Deutschland nun scheinbar, anscheinend oder offbarsich Weltmeister?
Das schrecklich-schöne Gottesmodul – WM-Sprach- und Stilkritik zum 8.7.2014
(Foto: Tarun Biswas)
Seit Jahrzehnten rätseln Soziologen und Psychologen über die Ursachen, die die Massenbegeisterung beim Fußball auslösen: Ist es das Bedürfnis, in der Gruppe gemeinsam zu leiden und zu jubeln? Bietet Fußball in Ermangelung eines richtigen Krieges einen Ersatz, sodass sich vorwiegend Männer gegenseitig mit gesellschaftlicher Erlaubnis auf die Mütze hauen dürfen? Brauchen wir den Fußball, weil wir in unserer Wohlstandsverwahrlosung sonst keine Anreize mehr haben? Ist Fußball nur eine schöne Ausrede, um 90 Minuten lang ungestraft ungesunde Sachen in sich hineinzustopfen?
Meine Theorie: Fußball ist Religionsersatz und neurologische Besonderheit zugleich. Den Begriff „Gottesmodul“ hat der US-amerikanische Neuropsychologe V. S. Ramachandran „ … für ein bestimmtes Hirnareal im Bereich der Schläfenlappen geprägt. Dieses Hirnareal zeigt bei Menschen in tiefer religiöser Versenkung eine erhöhte Hirnaktivität ( … ) an. Diese Gehirnaktivität kann zum Beispiel mithilfe der Magnetresonanztomografie (MRT) oder Positronen-Emissions-Tomographie (PET) in reproduzierbarer Weise sichtbar gemacht werden. Nach den bisherigen Erkenntnissen macht es dabei keinen Unterschied, ob es sich zum Beispiel um meditierende buddhistische Mönche oder etwa um ins Gebet versunkene katholische Nonnen handelt …“ oder eben um Deutsche, deren Fußballnationalmannschaft im Halbfinale einen der Favoriten mit 7:1 geschlagen hat. Die Theorie ist übrigens umstritten, aber ich finde den Ansatz mehr als überzeugend.
(http://de.wikipedia.org/wiki/Gottesmodul und http://community.zeit.de/user/albert-wittine-mancunian/beitrag/2007/10/27/das-quot-gottes-modul-quot)
Damit wäre wir auch schon bei der lustvollen und sich ins Unerträgliche steigernden Adjektivitis, in die sich Moderatoren, Reporter und Fans gleichermaßen stürzten: erregend, unfassbar, entsetzlich, unglaublich, großartig, demütigend … Adjektive sind die am häufigsten überschätzte und am meisten missbrauchte Wortgattung: Sie geben einen Sachverhalt oft doppelt wieder (beispielsweise weißer Schimmel, alter Greis), vertreten schlecht oder falsch ein Substantiv (alpine Flora statt Alpenflora) und lassen sich unglücklicherweise auch noch ins Unermessliche steigern – oft muss das Beschriebene nicht verstärkt und gesteigert werden. Jedes nicht gesagte Adjektiv ist ein Gewinn. Jeder Satz, der mehr als ein Adjektiv hat, sollte einem ein schlechtes Gewissen bescheren.
Ich würde den Abend mit einem klaren „schrecklich-schön“ beschreiben. Da hält sich mein schlechtes Gewissen noch in Grenzen.
Das (20 positive Adjektive, beliebig einsetzbar) Spiel der Deutschen löste eine unheilvolle Mischung aus Euphorie und Pathos aus, die dazu beitrug, dass Olli 1 noch unhöflicher wurde (zu Olli 2: „Ich weiß, du liebst Vereinfachung.“ oder auch „Das Titan-Trikot von 2002, ist das überhaupt gewaschen?“).
Bela Rethys (500 beleidigende Adjektive, beliebig einsetzbar) sprachliche Entgleisungen hier aufzuführen, würde den berühmten Rahmen sprengen – dass er aber auch des Französischen nicht mächtig ist, bewies er mit der Erfindung der Po-Ente. Die richtige Aussprache mag man sich hier anhören:
https://dict.leo.org/frde/#/search=pointe&searchLoc=0&resultOrder=basic&multiwordShowSingle=on
Alle, die eine Auszeit vom zermürbenden Gefasel über das „Wunder von Belo Horizonte“ (BR) brauchen, mögen sich zur Beruhigung ihres Gottesmoduls (s. o.) diesen wunderbaren, kleinen Fußballschatz, den meine Büro-Mitbewohnerin A. ausgegraben hat, zu Gemüte führen:
Fußballglück im Schrebergarten – WM-Sprach- und Stilkritik zum 4.7.2014
Die erwerbslose Mutter von 5 Kindern stellt ihren Schrebergarten zur Verfügung, damit eine ganz normale Grundschulklasse ihr Sommerfest feiern kann. Der vietnamesische Vater, kaum des Deutschen mächtig, hat verstanden, dass fast alle das Viertelfinale schauen wollen und schleppt seinen Flachbildfernseher 2 Kilometer zu Fuß zur Gartenkolonie. An den zwei Grillstationen – eine mit und eine ohne Schweinefleisch – fachsimpeln ein IT-Manager und ein Lagerarbeiter über das Grillgut. Die griechische Hortbetreuerin begleitet die Kinder von der Schule zum Garten, damit niemand verloren geht. Die syrische Flüchtlingsmutter bringt trotz größter Armut eine Spezialität mit, die sie nachts zubereitet hat. Das somalische Kopftuchmädchen spielt tapfer mit, obwohl sie noch kein Wort Deutsch versteht – die deutschen Kinder behelfen sich mit Gesten, damit sie dabei sein kann. Zwei pubertierende Jungen werfen ihre kreischende Mutter ins Planschbecken. Der katholische Pfarrer hat die Tür zum Gotteshaus geöffnet, damit alle zur Toilette können. Die Wohlsituierten legen diskret mehr in die Klassenkasse, damit nicht auffällt, dass diejenigen, für die 3 Euro eine Menge Geld sind, nichts hineintun können. Die Hauptschülerin diskutiert mit einer Personalmanagerin darüber, ob Mats Hummels der schönste Mann der WM ist. Die Lehrerin raucht nach dem 1 : 0 eine Zigarette und die Lektorin trinkt ein Schwarzwälder Bier.
Fußball verbindet.
Hätte Steffen Simon nicht Sätze wie „Die Uhr ist der beste Freund des deutschen Teams“ (so schnell kann aus einer Sie ein Er werden) oder „Die Kreativität geht, es kommt die geballte Körperlichkeit“ (dazu fällt auch mir nichts mehr ein) gesagt, wäre ich noch heiterer nach Hause gegangen.
Fernsehdeppen im Kakao und Leichenbeschau in der Gruppe – WM- Sprach- und Stilkritik ohne WM-Spiel zum 3.7.2014
Ich freue mich über reges Interesse an meinen Beiträgen; so z. B. von T. mit Bezug auf den Text zur „erschöpften Erleichterung“ (Ich habe ihn aber noch einmal Korrektur gelesen, lieber T., Rechtschreibfehler mache ich zwar selbst, dulde sie aber bei anderen nicht):
„Die Übersetzung des Satzes zum Imam erscheint mir dagegen unvollständig: Die Begründung „weil man auf Arbeit ist“ fehlt darin. Der Umstand, dass man nur bei ausreichender Nahrungszufuhr kräftig genug für das Spiel sein kann, ist sicher auch in Islamkreisen unbestritten, aber das ist in den Augen strenger Islamgläubiger ja noch lange kein Grund, das Fasten vorzeitig zu brechen! Die Erlaubnis dafür kann erst nach stichhaltiger Begründung erteilt werden. Und die liegt anscheinend darin, dass „man auf Arbeit ist“, bzw. dass die Nationalspieler Algeriens mit ihrem Einsatz Ungewöhnliches für ihr Land leisteten, das Ausnahmen vom Fastengebot zuließ, denke ich.“
Das nehme ich widerspruchslos an – ich hätte den Satz also noch genauer „übersetzen“ sollen – ich glaube aber nicht, dass BR zu dieser akademischen Leistung in einer Live-Moderation fähig gewesen wäre. Das Wort „anscheinend“ fordert mich schon wieder heraus. Dazu aber in den nächsten Tagen mehr.
P. nennt meine Analysen neckisch „die Fernsehdeppen durch den Kakao ziehen“ und liefert eine fachmännische Definition, die noch fehlte: „Anschwitzen ist ein in der Sportwelt durchaus gebräuchlicher Terminus, der im Unterschied zum Aufwärmen, bei dem der Körper durch leicht erhöhte Beanspruchung an die ihm bevorstehende Aufgabe herangeführt werden soll, den Körper durch kurzzeitige Vollbelastung auf Hochtouren bringen soll. Beide Methoden haben unterschiedliche Wirkung und sollten in Kombination nacheinander ausgeführt werden.“
Sehr schön erklärt, lieber P. (an Deinen Substantiven könntest Du aber noch arbeiten), jetzt weiß ich endlich, warum die Spieler vor dem Einwechseln zwischen Dehnübungen immer kleine Sprints einlegen. Im Übrigen sollte ich endlich einmal anmerken, dass ich von Sport im Allgemeinen und Fußball im Besonderen keine Ahnung habe.
U. ermuntert dazu, das Wort „Gänsehautentzündung“ zum Wort des Jahres zu erklären. Ich werde einmal recherchieren, ob man der zuständigen Kommission Vorschläge einreichen kann. Scholls Erfindung soll es aber nicht sein – ist er nicht ein gewitzter Dieb? (http://www.augsburger-allgemeine.de/sport/wm-2014/Mehmet-Scholl-Danke-fuer-Gaensehautentzuendung-id30379112.html)
Morgen werde ich aushäusig sein und das Viertelfinale Deutschland – Frankreich in einer Runde von etwa 60 Menschen schauen – das könnte man also ein „Public Viewing“ nennen. Der Begriff ist aber noch nicht eindeutig definiert: Ab welcher Zahl Menschen, die gemeinsam vor einem Bildschirm sitzen oder stehen, darf man ihn verwenden? Wenn ich zu zweit mit meinem Lieblingsnerd auf dem Sofa sitze und Tagesschau gucke? Oder wenn ich in Berlin auf der „Fanmeile“ inmitten 100.000 anderer Fans stehe und rein gar nichts sehen kann? Wikipedia klärt auf: http://de.wikipedia.org/wiki/Public_Viewing.
Interessant ist allerdings die ursprüngliche Bedeutung des Ausdrucks: Im Englischen beschreibt er auch das öffentliche Aufbahren von Toten, sodass die Öffentlichkeit Abschied nehmen kann (http://de.wiktionary.org/wiki/public_viewing). So ist beispielsweise Lenin seit 1924 Teil eines berühmten „Public Viewings“ (http://de.wikipedia.org/wiki/Lenin-Mausoleum#Lenins_sterbliche_.C3.9Cberreste).
Da ich also morgen zu einer Leichenbeschau gehe, muss ich mir Samstag vielleicht freinehmen, weil ich mich entweder in einem Zustand „erschöpfter Erleichterung“, „fröhlicher Beschwingtheit“ oder „entsetzter Resignation“ befinde.
Aliterationsverzückung oder die erschöpfte Erleichterung – WM-Sprach- und Stilkritik zum 30.6.2014
Jeder dritte Deutsche ist nach einer Studie des Allensbachinstitutes Fußballfan oder fußballbegeistert (http://www.ifd-allensbach.de/uploads/tx_reportsndocs/prd_1205.pdf). Zu Zeiten von Europa- und Weltmeisterschaften steigt dieser Anteil auf etwa 60 Prozent an. 28 Millionen Deutsche haben gestern Abend das Spiel Deutschland – Algerien geschaut, und wahrscheinlich waren es noch viel mehr (Kinder, die wegen des Lärms nicht schlafen konnten, Haustiere, die erschrocken auf den Schoß ihrer Besitzer krochen, …) (http://www.quotenmeter.de/cms/?feed=1). Gehen wir davon aus, dass etwa zwei Drittel der Zuschauer berufstätig sind oder sich in der Ausbildung befinden, kann man guten Gewissens behaupten, dass etwa ein Viertel der Deutschen sich heute in einem Zustand erschöpfter Erleichterung befindet, die konzentriertes Denken, klare Entscheidungen, fehlerfreie E-Mails, Referate ohne Stotterer oder Mittagspausen mit dem Thema „Wir besprechen bei Currywurst/Tofu-Auflauf das Meeting um 3“ unmöglich macht. Ich empfehle unbedingt, bei der Anschaffung neuer Autos, Elektrogeräte oder Möbel darauf zu achten, dass diese nicht am 1. Juli 2014 produziert wurden.
Bela Rethy hat sich allerdings von Beginn bis zum aufreibenden Ende des Spiels in einem Zustand aliterativer Verzückung befunden, die ihn, fast noch eruptiver als Gerd Gottlob, durchdampfplaudern ließ. Ich habe versucht, die Zeit zu stoppen, in der er nicht redete. Es waren etwa 3 Minuten. Auch das trägt sicher zur heutigen deutschen Asthenie bei.
BRs wirklich allerschlimmster Satz, der beispielhaft für seine beängstigende Ausdrucks- und Satzbauweise stehen darf: „Der Imam wurde eingeflogen, um die Erlaubnis zu erteilen, dass man essen darf, weil man auf Arbeit ist.“ Zunächst verwendet er das umständliche Passiv, das sich jeder angehende Journalist schon im Volontariat austreiben sollte: statt „wurde“ heißt es „Der Imam flog von Algier nach Porto Alegre …“. Substantive lassen Texte statisch wirken, Verben „laufen“, also: „ … um den Spielern der algerischen Mannschaft zu erlauben …“. Das „man“, ein sogenanntes „unbestimmtes Indefinitpronom“ verhilft uns dazu, die Beteiligten nicht zu nennen (dafür ist übrigens auch das Passiv sehr praktisch). Damit wir also erfahren können, wer isst und wer arbeitet, sollte es besser so lauten: „ … dass sie trotz des Ramadans vor der Dämmerung essen dürfen, um kräftig genug für das Spiel zu sein.“ Das Adverb „auf“ in Verbindung mit „Arbeit“ gibt dem Ganzen den Rest. Es heißt richtig „bei der Arbeit“. Wer sitzt schon „auf seiner Arbeit“? Diesen Satzteil können wir getrost streichen.
Der Satz noch einmal in überarbeiteter Fassung: „Der Imam flog von Algier nach Porto Alegre, um den Spielern der algerischen Mannschaft zu erlauben, dass sie trotz des Ramadans vor der Dämmerung essen dürfen, um kräftig genug für das Spiel zu sein.“
Das Wort „Anschwitzen“ war mir im Zusammenhang mit Sport noch nicht bekannt (Zwiebeln lassen sich prima anschwitzen, das wusste ich) und ist eine Wendung für das althergebrachte „Aufwärmen“, hat aber eine irgendwie lautmalerische Wirkung.
Wenn BR das Spiel so wie mein Lieblingsnerd mit drei klaren Feststellungen kommentiert hätte, wären wir heute vielleicht nicht ganz so ausgelaugt:
- 1. Halbzeit, 10. Minute: „Alle 2 Jahre bin ich Trainer der Nationalmannschaft. Ansonsten habe ich keine Ahnung und ich muss auch nicht anschwitzen.“
- 2. Halbzeit, 70. Minute: „Boateng ist eine Schlampe.“
- Verlängerung, 121. Minute, nach dem Anschlusstreffer Algeriens: „Und jetzt alle hinten rein und dann ist gut.“
Manuel Neuer war noch gar nicht geboren, als dieser Film lief, aber vielleicht lag die DVD in seinem Zimmer am Abend vor dem Spiel herum: http://www.kino.de/kinofilm/manni-der-libero/83093
Die Trinkpause – WM-Sprach- und Stilkritik zum 29.6.2014
„Das Ergebnis heiligt die Mittel.“
(Tom Bartels, 1. Halbzeit Niederlande – Mexiko)
Oh Mann.
(= umgsprl. Ausruf, der eine Mischung aus Entsetzen, Verzweiflung und Resignation ausdrücken soll)
Die Trinkpause ist eine sehr gute Idee.
Das Tier im Mann – WM-Sprach- und Stilkritik zum 28.6.2014
Gerd Gottlob (GG), Reporter des Spiels Brasilien – Chile, schreit, kreischt und brüllt uns 126 Minuten fast pausenlos an, und zwar so laut, dass man kaum etwas von der Stadionatmosphäre noch vom Spiel selbst etwas mitbekommt.
„Er geht zu Boden!! Aber er war vorher schon ins Straucheln gekommen!!! – „Nein! Er hat dreimal was auf die Socken gekriegt!!!“ – „Ooooh, ist das Gelb für Neymar??! – „Ist er ein Abstauber oder … nein! War es ein Eigentor?!“
In der Halbzeitpause ersinnt Me (Mehmet Scholl) das berückendste Wort dieser WM: die „Gänsehautentzündung“ als Synonym für allerhöchste Anspannung. Die SZ hat dies zwar vor mir schon bei Facebook gepostet, aber es ist zu treffend, um es nicht noch einmal zu erwähnen. Dafür gibt´s eine schöne 1, Me.
In der zweiten Halbzeit schöpft GG etwas Atem, den er auch benötigt für widersprüchliche Aussagen wie über den brasilianischen Trainer Scolari: „Er stammt zwar aus Italien, aber er ist sich der Größe seiner Aufgabe bewusst.“ Das hört sich so an, als könnten die Menschen in Italien weder Herausforderungen meistern noch Verantwortung übernehmen. Überaus intelligent ist auch dieses Urteil: „Sie müssen beide in die Verlängerung, wenn das so weitergeht.“ Hat man je eine Verlängerung gesehen, bei der nur eine Mannschaft auf dem Platz spielte und die andere es sich im Mannschaftsraum bei einem Bier gemütlich machte?
Beim Elfmeterschießen gibt es dann kein Halten mehr (um ein Sprachklischee zu bemühen), und GG überplärrte jegliches andere Geräusch: „ER HAT KEINEN GUTEN FUSS!“ – „DER KEEPER, DA, DER KEEPER!!! ER IST RAUS!!!“ – „DIE NÄCHSTE GELEGENHEIT FÜR DIE BRASILIANER!!!“
Nun ja. Fußball ist meist eine sehr aufregende Angelegenheit, da kann es schon einmal laut werden. Nur bei HSV-Spielen ist es in letzter Zeit recht still. Aber das ist eine andere Geschichte.
Ich empfehle GG als therapeutische Maßnahme dies: http://www.messbar.de/nti-audio-xl2-schall-messgeraet-mit-frequenzanalyse.html Das ist zwar recht teuer, aber dafür darf die ARD gern meine Gebühren ausgeben.
Das Spiel Kolumbien – Uruguay hat Steffen Simon in gewohnter Manier klug und sachlich moderiert, leider hatte ich einen solchen Druck auf den Ohren, dass ich ihn kaum verstanden habe.
Ich beneide Tarun Biswas, der heute dies Bild schickte, um friedliche, brasilianische Ruhe.
In Recife sitzt der Genitiv auf der Bank und wird nass – WM-Sprach- und Stilkritik zum 26.6.2014
Es hat wieder geregnet, und das musste Olli 2 so kommentieren: „Trotz diesem Regen wird das schon werden.“ Bastian Sick hat sich dem Thema umfassend gewidmet, sodass ich hier nur die Auflösung des Rätsels liefere: „Das wird trotz des Regens schon werden.“ http://www.canoo.net/services/Controller?project=1&language=0&service=glossary&input=Genitiv&expression=3847
Olli 2 hat immer noch Probleme mit den Indefinitpronomen, so verwechselt er immer noch die Anrede „du“ mit dem unbestimmten „man“: „Wenn du (Olli 1 anblickend) als Torwart nicht immer konzentriert bist, dann bist du (in die Kamera den Zuschauer anblickend) einfach nicht gut genug.“ Immerhin haben wir jetzt verstanden, dass weder Herr Welcke noch wir jemals gute Torwarte sein werden. Olli 2 braucht neben Grammatiktraining auch dringend einen Stylisten – das in Mausbraun und Schlamm changierende Jackett mit wulstigen Nähten sieht aus, als hätte er es bei einer Versteigerung von Honeckers Kleidersammlung erworben.
Olli 3 (Oliver Schmidt) hingegen beherrscht zumindest den Genitiv, muss es dann aber auch gleich übertreiben: „Das ist der Horror eines jeden Trainers.“
Sonst neigte Olli 3 dazu, nicht richtig informiert zu sein: „Beckerman ist der Frisurenweltmeister der WM.“ Aber das war doch Fellaini, oder?
Im weiteren Spielverlauf schaute er auch nicht genau hin, zudem zeigt er eine gewisse Rechenschwäche, so über Thomas Müller: „Der Starkstromfußballer trifft und trifft und trifft.“ (Beim Stand von 1:0 hat Müller nicht dreimal getroffen.)
Er empfiehlt allen Zuschauern, dringendst einen Optiker aufzusuchen: „Die Lesehilfe für die Nationalhymne finden Sie auf …“ Falsches Wort, unhöfliches Benehmen.
Krumme Vergleiche würzen wieder den Fußballabend: „Mertesacker ist irgendwie auch ein Müller.“ oder auch: „Die Deutschen haben gewonnen, ohne ein Feuerwerk des Hochglanzfußballs abbrennen zu müssen.“
Tröstlich und aufmunternd war dann aber das Interview, das KMH mit Jogi Löw führte. Nach den unerträglich banalen Intermezzi der letzten Wochen durfte sie endlich einmal Sachverstand zeigen und kluge Fragen stellen. Der gute Eindruck wurde leider abgemildert durch das Outfit: Dieses pinkfarbene Blümchen-Wickeldings sollte wohl brasilianisches Flair ausstrahlen, die grünen Schlabbershorts, die Einblick bis fast zum Höschenrand boten, wieder die schönen schlanken Beine in Szene setzen. Ich hätte zu einem schlichten weißen T-Shirt mit kniebedeckendem einfarbigen Rock geraten: Das hätte der Sache die Seriosität gegeben, die ein Bundestrainer von den Medien erwarten darf.
Die Fotos (Tarun Biswas) zeigen die Anfahrt der Fans zum Stadion in Recife.
Über das Beißen – WM-Sprach- und Stilkritik zum 24.6.2014
Es ist das Thema des Tages. Machen wir uns also auf in die Welt der Überschriftenkünstler; hier eine Auswahl der Titel von heute, 25. Juni 2014:
„Chiellini wird zum Opfer: Suárez beißt wieder zu“ (Kicker online) – Hier wird noch einigermaßen sachlich das Ereignis benannt und die Beteiligten bekommen einen Namen.
„Krass! WM-Star Luis Suárez beißt seinen Gegner!“ (Promiflash online) – Jugendsprache und zwei unnötige Ausrufungszeichen signalisieren mit ihrer „schreienden“ und lauten Grafik dem Leser die unerhörte Drastik des Vorfalls.
„Suárez beißt Italien raus – Prandelli tritt zurück“ (Hamburger Abendblatt online) – Ein Mensch kann kein Land beißen, schon gar nicht ein Stück davon abbeißen. Der italienische Trainer wird genannt, nicht aber der gebissene Chiellini.
„Suárez beißt Italien weg“ (fanfeed.de) – Nein, Suárez kann nicht nur einem Land ein Stück abbeißen, er kann es sogar einfach ganz und gar irgendwohin beißen.
„Luis Suárez – Ein Stürmer beißt sich durch“ (welt online) – Hier wird das Ereignis gar nicht mehr benannt, wir erfahren, dass der Mensch Suárez ein Fußballspieler auf einer wichtigen Position ist, zudem hat er wohl ein schweres Schicksal, denn er muss sich „durchbeißen“.
„Kannibale Suárez beißt schon wieder zu“ (Sport24 online) – Nun wird aus einem vom Schicksal Gebeutelten ein Menschenfresser. Es war aber nicht zu sehen, dass Suárez Chiellini ein Stück Schulter abgebissen hat.
„ „Vampir“ Suárez beißt wieder zu“ (MSN sport online) – Jetzt verwandelt sich Suárez vom Menschenfresser in einen Blutsauger. Vampire schlagen der Sage nach aber in der Regel nachts zu – dies ist also ein unglücklicher Vergleich, denn es war taghell.
„Beißattacke gegen Chiellini – Suárez wird rückfällig“ (ntv-online) – Auch hier wird an das Mitgefühl des Lesers für einen geplagten Fußballspieler appelliert, anstatt das genaue Ereignis zu nennen.
Meine liebste Überschrift, die unkommentiert glänzen darf:
„WM-Aus für Italien – Uruguay beißt sich ins Achtelfinale“ (Mitteldeutsche Zeitung online)